Ausgabe 02 / 2024

Vertraut bis zum Lebensende

Daniel Last

Die Wohngemeinschaft «Alte Sennerei» ist eine innovative Einrichtung, die pflegegerechten Wohnraum für den letzten Lebensabschnitt bietet. Seit 2021 werden hier Menschen aus der Region bis zum Lebensende in einer vertrauten Umgebung begleitet und gepflegt. Die OST – Ostschweizer Fachhochschule hat das Projekt über drei Jahre wissenschaftlich unterstützt.

Es sind zwar «nur» etwa 45 Minuten von Chur bis Tenna – dennoch ist es wie eine Reise in eine eigene Welt. Minimale Infrastruktur, vereinzelte Dörfer oder vielmehr Weiler liegen auf dem Weg ins hintere Safiental. Wer hier gross geworden ist, möchte auch hier alt werden. Genau hier setzt die Wohngemeinschaft «Alte Sennerei» an, gegründet 2021 vom Verein Tenna Hospiz. Dieser wollte und will aufzeigen, dass ein würdevolles Altern im vertrauten Umfeld möglich ist – insbesondere auch wirtschaftlich. Von daher war es dem 2016 gegründeten Verein um Gründer Othmar F. Arnold wichtig, das Projekt wissenschaftlich begleiten zu lassen. Mit der OST, genauer gesagt dem IAF Institut für Altersforschung unter der damaligen Leitung von Prof. Dr. Sabina Misoch, war schnell der perfekte Partner gefunden. Die Ethnologinnen Samira Hüsler und Rhea Braunwalder widmeten sich dem «Herzensprojekt», wie sie es nennen.

Ein Herzensprojekt war es auch für Othmar F. Arnold, der hinter der Idee steckt, die als Vision begann, wie es im Projektbeschrieb steht. Die Vision, «pflegegerechten Wohnraum in einem abgelegenen Bündner Bergtal zu schaffen, um bis zuletzt in Würde in einer vertrauten Umgebung zu leben – und dann in Frieden sterben zu dürfen». Der gemeinnützige Verein Tenna Hospiz hat auf dieser Vision aufbauend 2018 die ehemalige Sennerei in Tenna gekauft und erbaute die komplett neue «Alte Sennerei», die seit Herbst 2021 pflegegerechten Wohnraum bietet. Gegenseitige Unterstützung der Bewohnenden, gepaart mit der der regionalen ambulanten Dienste, sorgt für die entsprechende Grundlage, um die Aufs und Abs des Alltags im letzten Lebensabschnitt bewältigen zu können.

Drei Jahre lang begleiteten Hüsler und Braunwalder das Hospiz, die Bewohnenden sowie die Mitarbeitenden, die konkret als «sorgende Mitbewohnende» bezeichnet werden. Doch was genau ist der Unterschied zu einem Pflegeheim, wie man es in der Schweiz kennt? «Es gibt einige Unterschiede im Konzept des Projektes», erklärt Samira Hüsler: «Es ist eine Mischung aus einem eigenen Zuhause und einem Pflegeheim, es handelt sich mehr um eine Pflege-Wohngemeinschaft für Seniorinnen und Senioren.»

Wohngemeinschaft «Alte Sennereii» in Tenna
Wohngemeinschaft «Alte Sennerei» in Tenna
Bezahlbarkeit ein zentraler Punkt

Was man sich hierunter genau vorstellen muss, führt Rhea Braunwalder aus: «Der Ansatz ist zunächst so gewählt, dass das Wohnen in der Wohngemeinschaft für jede und jeden bezahlbar sein soll. Die Kosten für eine Unterbringung setzen sich zusammen aus der Miete für den eigenen Wohnbereich, Beiträgen an die WG-Kasse für Einkäufe und Stundenbeiträgen für allfällige Pflegeeinheiten.» Grundsätzlich handelt es sich um einen holistischen, also umfassenden Ansatz. So sind durchaus auch «Entlastungsaufenthalte» in der Wohngemeinschaft möglich, die man salopp auch als Ferien bezeichnen könnte und deren Entlastung insbesondere dem familiären sorgenden Umfeld hilft. Auf der anderen Seite stehen in der Wohngemeinschaft auch Palliativ-Betten zur Verfügung, wenn sich der letzte Lebensabschnitt dem unvermeidlichen Ende nähert.

Zentraler Anlaufpunkt ist das Café im Erdgeschoss der «Alten Sennerei», in dem die Bewohnenden nicht nur mit ihren WG-Mitbewohnenden, sondern auch mit der Dorfbevölkerung und/oder Touristen wie Wanderern, Skitourengängern oder Mountainbikerinnen zusammentreffen. Das Café konnte sich gut etablieren und steckt voller Potenzial. Doch der leckere Kuchen, der immer von Personen aus Tenna gebacken wird, ist nur einer der Vorteile und Annehmlichkeiten. «Vielmehr ist es eine soziale Begegnungsstätte, die die Verbindung der WG-Bewohnenden und der ‹Aussenwelt› herstellt. Dies ist ein ganz wichtiger Faktor in diesem Projekt», erklären Hüsler und Braunwalder.

Wer hier gross geworden ist, möchte auch hier alt werden.

Samira Hüsler und Rhea Braunwalder

Wirtschaftlichkeit ist gewährleistet

Die wissenschaftliche Begleitung erfolgte in Form von Beobachtungen und Interviews. Braunwalder und Hüsler haben teilweise vor Ort gelebt. Zwischenauswertungen der Dokumente führten zu neuen Fragen und daraus resultierend zu weiteren Interviews. Die Beobachtungen erstreckten sich dabei auf Sommer und Winter, da sich diese Jahreszeiten in Tenna immens unterscheiden – unter anderem auch wegen des vielen Schnees im Winter und einer daraus resultierenden Änderung des Arbeitsaufwandes im landwirtschaftlich geprägten Tenna.

Der Schlussbericht ist für Oktober 2024 angedacht, doch können Braunwalder und Hüsler zumindest eines vorwegnehmen, ohne zu viel zu verraten: Das Projekt ist in jeder Hinsicht tragbar, auch wirtschaftlich – und das, obwohl derzeit nur vier ältere Menschen fix in der «Alten Sennerei» wohnen. Bis zu acht Personen mit Unterstützungsbedarf könnten aufgenommen werden, eine grössere Belegung ist derzeit nicht angedacht. Dies hängt auch mit einer in unserer Gesellschaft herrschenden Tendenz zusammen, nebst dem schon schwer zu findenden qualifizierten Personal Sorge-Arbeit nicht als richtige Arbeit zu anerkennen: Die «sorgenden Mitbewohnenden» wohnen ebenfalls vor Ort und auch darum gestaltet sich die Suche nach offenen und motivierten Mitbewohnenden schwierig.

«Es erfordert natürlich eine Leidenschaft für diesen Beruf, wenn die Mitarbeitenden vor Ort wohnen und sozusagen ein Teil der Wohngemeinschaft sind. Wobei genau diese Integration in die Gemeinschaft ein unschätzbarer Vorteil ist», führen Hüsler und Braunwalder aus.

Wie dem auch sei, das Projekt zeigt mit seinen Ansätzen eindrucksvoll auf, dass ein würdevolles Altern im vertrauten Umfeld nicht nur möglich, sondern auch nachhaltig und wirtschaftlich tragfähig ist.

Kontakt

Samira-Salomé Hüsler
IAF Institut für Altersforschung
+41 58 257 16 23
samirasalome.huesler@ost.ch

Rhea Braunwalder
IAF Institut für Altersforschung
+41 58 257 18 97
rhea.braunwalder@ost.ch

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