Ausgabe 02 / 2024

Die heisse Phase hat begonnen

Daniel Last

299 Millionen Franken pro Jahr. So hoch sind die durchschnittlichen Hochwasserschäden allein in der Schweiz - Tendenz steigend. Das Projekt «Fibra Dike» von Prof. Dr. Carlo Rabaiotti und seinem Team könnte hier entscheidend gegenwirken. Das Projekt befindet sich auf der Zielgeraden, doch es gibt Widerstand.

Seit unserem letzten Bericht über das Projekt, auf dem grosse Hoffnungen ruhen und das im Wallis sowie in der Region des Flusses Po bereits nach und nach implementiert wird, hat sich einiges getan. Die Sensoren sind funktionstüchtig, das Testbecken im norditalienischen Boretto steht, die Vortests sind vielversprechend verlaufen – doch es regt sich Widerstand. Tierischer Widerstand. Solcher, mit dem man in diesem Ausmass nicht rechnen konnte.

«Biber und Wildhasen stellen ein grosses Problem dar, denn sie haben unser Testbecken in Norditalien untergraben», berichten Carlo Rabaiotti und Projektleiter Alessio Höttges. Dabei war der erste «grosse» Testlauf schon geplant gewesen, doch die extreme Aktivität der ungebetenen Zaungäste erforderte zunächst eine Ausbesserung des Dammbereiches. Nun gilt es, den Bereich mit Zäunen zu schützen, sonst müsste man den ungebetenen Gästen anders zu Leibe rücken – ein Szenario, das man natürlich vermeiden möchte.

Testbecken im norditalienischen Boretto
Testbecken im norditalienischen Boretto
Wildschäden nicht neu

In den bestehenden Regionen, die bereits mit Dämmen versehen sind, kommen zum Schutz vor den Wildtieren Stahlgitter in das Erdreich, eine gängige Praxis, wie Rabaiotti betont. Allerdings treibt dies wiederum die Kosten in die Höhe, ist für die Sicherheit jedoch bislang ein Muss. So wurden die verheerenden Überflutungen im italienischen Modena im Jahr 2023 nebst den massiven Regenfällen innerhalb kürzester Zeit auch dadurch verursacht, dass Dämme, die teils aus dem 16. Jahrhundert stammen, durch Tiere unterhöhlt waren. In Modena waren es indes weniger Wildhasen, sondern vielmehr Dachse und insbesondere Stachelschweine.

Der immense Vorteil von «Fibra Dike» liegt in der auf engstem Raum und über extrem weite Strecken stattfindenden Überwachung. Doch wie genau sieht diese aus? Wir geben einen kurzen Überblick: Herkömmliche Sensoren messen die Hauptrisikofaktoren für die Durchsickerung von Deichen, sprich Verformungen, innere Erosionen und Oberflächenerosion. Dies jedoch meist nur punktuell und nicht flächendeckend – und genau hier liegt das Problem. Somit ist eine frühzeitige Erkennung eines Versagens der Deiche, Dämme oder grundsätzlich des Uferbereiches schwierig bis fast unmöglich. Das System von Carlo Rabaiotti und seinem Team geht von daher einen wichtigen Schritte weiter, denn es ist im Falle eines Deiches über die gesamte Länge verteilt, liefert Daten über den gesamten Bereich und gibt somit bereits in frühen Stadien Informationen weiter, aus denen entsprechende Gegenmassnahmen abgeleitet werden können.

Veränderte Voraussetzungen

Die Sensoren werden durch computergesteuerte Bohrtechnik in den Dämmen installiert. Interessant sind dabei insbesondere Dämme älteren Datums. «Wir haben sehr viele Dämme, die aus dem 16. oder 17. Jahrhundert stammen. Diese sind nach wie vor funktionstüchtig, es gilt nun frühzeitig die Schwächen zu erkennen», so Rabaiotti. Denn es sind nicht unbedingt die Regenmengen an sich, die Probleme machen, wie Rabaiotti ausführt: «Geregnet hat es immer schon. Doch durch die veränderten Klimabedingungen haben wir nun Ereignisse, bei denen in kürzester Zeit massive Regenmengen auf entweder schon durchnässte oder extrem trockene Böden treffen, die diese Mengen nicht aufnehmen können, das Wasser bahnt sich dann seinen Weg und trifft auf die Dämme. Doch für diese Ausmasse sind die Dämme aus früherer Zeit schlichtweg nicht gemacht worden.»

Die Sensoren werden dabei im Fussbereich der Luftseite des Dammes installiert. «Hier besteht die grösste Gefahr. Wenn dieser Teil durchweicht und das Wasser vor dem Durchbruch steht, dann haben wir den Worst Case für einen solchen Damm, dieser ist dann verloren und das Wasser kann sich fast ungehindert seinen Weg bahnen», erklärt Alessio Höttges. Den meisten Menschen dürfte dies von den Badeferien bekannt sein, wenn die mühsam gebaute Sandburg auch sozusagen vom Wasser im unteren Bereich weggezogen wird und einbricht.

Viele Vorschusslorbeeren

Die Ampeln für die Umsetzung stehen – abgesehen von den Wildtieren – fast allesamt auf Grün, das Projekt hat massiv Fahrt aufgenommen. Die Sensoren sind serienreif, sie funktionieren tadellos, sowohl im Labor wie auch in den ersten Tests im Versuchsbecken in Boretto, das Bedingungen wie in der «freien Natur» ermöglicht. Weitere Tests untermauerten diesen Eindruck, im Herbst werden in der Rhone wie auch in der Region Modena Sensoren in ausgewählten Flussbereichen installiert. Die ganz heisse Phase hat sozusagen begonnen.

Vom Erfolg des Projektes sind nicht nur die Beteiligten überzeugt, so gewann «Fibra Dike» unter anderem auch den ersten Preis der Future Foundation 2024. Ein reger Austausch herrscht zudem unter anderem mit der am Projekt interessierten Universität Delft in den Niederlanden, einem Land, das prädestiniert ist für diese Technik mit seinen Hunderten Deichen und Dämmen, oder den Universitäten Bologna und Padua. Vorschusslorbeeren, die nun in der Praxis manifestiert werden sollen. Wir drücken die Daumen, dass dann alsbald die prinzipiell einfache, aber geniale Umsetzung auch in der Praxis stattfindet und somit nicht nur weniger finanzielle Schäden entstehen, sondern auch vielen Menschen in gefährdeten Gebieten viel Leid erspart werden kann

Kontakt

Prof. Dr. Carlo Rabaiotti
Institutsleiter IBU
IBU Institut für Bau und Umwelt
+41 58 257 49 75
carlo.rabaiotti@ost.ch

Alessio Höttges
Projektleiter
IBU Institut für Bau und Umwelt
+41 58 257 41 55
alessio.hoettges@ost.ch

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