Ausgabe 02 / 2024

«Informatik für alle zugänglich machen»

Willi Meissner

Technologien wie künstliche Intelligenz schaffen völlig neue Möglichkeiten, wie Menschen und Maschinen miteinander kommunizieren können. Das neu lancierte I3 Institut für Interaktive Informatik an der OST – Ostschweizer Fachhochschule erforscht diese Möglichkeiten und hat sich zum Ziel gesetzt, Software und Maschinen leichter bedienbar zu machen. Laurent Metzger, Departementsleiter Informatik, spricht im Interview darüber, wie wichtig es ist, dass Menschen intuitiv mit ihrer immer digitaler geprägten Umwelt umgehen können.

OSTpunkt: Sie haben das Departement Informatik bisher interimistisch geführt und vorher bereits als Institutsleiter und Dozent an der OST gearbeitet. Wie hat sich Ihre Perspektive als Leiter des Departements verändert?
Prof. Laurent Metzger: Als Institutsleiter und Dozent waren vor allem das Studium und die Forschung in meinem Fokus. Seit dem letzten Jahr kamen viele Führungsaufgaben dazu und ich habe während meiner Interimszeit festgestellt, dass es mich enorm reizt, unsere Informatik auf strategischer Ebene weiterzuentwickeln. Die Perspektive hat sich also etwas in die Vogelperspektive verschoben, aber neu war das alles nicht. Bereits der Zusammenschluss zur OST und die Arbeit als Institutsleiter haben mir gezeigt, dass ich neue Herausforderungen suche und es sehr schätze, wie stark wir mit der OST departementsübergreifende, interdisziplinäre Stärke gewonnen haben. Schön ist, dass ich nun die Zukunft des ganzen Departements zusammen mit den vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen in der Lehre und Forschung weiterentwickeln kann. 

Das Departement Informatik hat das I3 Institut für Interaktive Informatik neu lanciert. Warum braucht es heute noch Forschung im Bereich User-Maschine-Interaktionen? Bedienungsoberflächen sind ja nichts Neues.
Obwohl wir seit Jahrzehnten mit Computern arbeiten, sind viele Applikationen noch immer nicht für alle Menschen zugänglich. Oftmals braucht es eine spezielle Ausbildung, um Anwendungen überhaupt nutzen zu können – auch solche, die es schon seit Ewigkeiten gibt. Excel ist ein gutes Beispiel: Das Programm entwickelt sich ständig weiter, die meisten Anwendenden nutzen jedoch nur etwa fünf Prozent der Möglichkeiten. Eine integrierte künstliche Intelligenz (KI) kann hier mathematische oder statistische Anwendungsmöglichkeiten auch für User ohne entsprechende Ausbildung eröffnen. Der Erfolg einer Applikation hängt massgeblich davon ab, wie gut das User Interface ist – auch hier braucht es noch Forschung. Wenn der Mensch sie nicht ohne zusätzlichen Aufwand bedienen kann, wird die Applikation nicht erfolgreich sein oder nicht im vollen Umfang genutzt werden.

Prof. Laurent Metzger am Campus Rapperswil-Jona.

Wir haben im Informatikstudium eine Vertiefung in Data Science, in der wir den KI-Anteil schrittweise erhöhen.

Laurent Metzger, Departementsleiter Informatik

Ebenfalls neu ist der Studiengang Digital Design seit diesem Herbstsemester. Wie im Institut I3 liegt auch hier die Mensch-Maschine-Interaktion im Fokus. Was lernen die Studierenden?
Bei uns lernen die Studierenden den gesamten Prozess von der Idee bis zur fertigen Applikation. Ein wichtiger Aspekt, der bei der Applikationsentwicklung häufig sekundär behandelt wird, ist das Requirement Engineering. Also die Ermittlung der Anforderungen, die eine Applikation erfüllen muss, um die Schnittstelle zwischen User, Business und Entwicklung sicherzustellen. Oft erleben wir, dass Entwickler etwas programmieren, das weder den Bedürfnissen des Unternehmens noch den Anforderungen der User entspricht. Unser Ansatz mit dem neuen Studiengang ist es, diesen Prozess zu optimieren. Ausgebildete Digital-Designerinnern und -Designer können als Schnittstelle zwischen Entwicklung, User und Business fungieren und auf Augenhöhe mit allen Anspruchsgruppen verhandeln.

Das Departement investiert also zusätzlich in die Erforschung und Entwicklung einfach bedienbarer Software und in die Ausbildung von Fachkräften, die solche Software nach ihrem Studium entwickeln können. Warum ist das wichtig?
Das neue Institut I3 kann Unternehmen direkt bei solchen Fragen unterstützen und so den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis sicherstellen. Die Absolvierenden des Studiengangs Digital Design wiederum werden keine reinen Designerinnen und Designer sein, die nur Konzepte gestalten, sondern technisch versierte Absolventinnen und Absolventen, die auch programmieren können. Sie sind in der Lage, ein Minimum Viable Product (MVP) zu bauen und den «Test and Learn»-Ansatz zu verfolgen. Das passt sehr gut zur Schweiz, wo viele KMUs nicht die Mittel haben, eigene User-Experience-Ingenieurinnen/-Ingenieure einzustellen. Unsere Absolvierenden können sowohl in kleinen als auch in grossen Unternehmen arbeiten und sind in der Lage, als komplementärer Teil eines Entwicklungsteams zu agieren.

Ein grosses Thema ist häufig die Zugänglichkeit von digitalen Werkzeugen für alle, auch für ältere Personen. Wie gehen Sie damit um?
Unsere Zielsetzung ist es, Informatik für alle zugänglich zu machen. Das bedeutet, dass wir Applikationen entwickeln, die für Menschen aller Altersgruppen und Fähigkeiten nutzbar sind. Besonders ältere Menschen sollen auch von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren können. Junge Menschen wachsen heute mit der Technologie auf, aber auch sie werden älter, und deshalb muss die Zugänglichkeit von Applikationen ständig aktualisiert werden, um möglichst vielen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu modernen digitalen Werkzeugen zu ermöglichen.

Künstliche Intelligenz und Cyber Security sind ebenfalls aktuelle und wichtige Themen. Wie adressiert das Departement Informatik diese Entwicklungen?
KI ist viel mehr als nur ChatGPT und Cyber Security ist viel mehr als eine Firewall. Wir haben im Informatikstudium eine Vertiefung in Data Science, in der wir den KI-Anteil schrittweise erhöhen. KI ist nicht nur für die Anwendung durch User immer wichtiger, sondern auch für die automatisierte Erkennung von Bedrohungen und Angriffen in der Cyber Security und als Assistenz im Software Engineering. An der OST arbeiten wir mit unserem ICAI Interdisciplinary Center for Artificial Intelligence zusammen und profitieren voneinander.

Viele Dienstleistungen, auch im KI-Bereich, werden nicht mehr von Unternehmen selbst betrieben. Warum nutzen so viele Unternehmen Cloud-Lösungen der grossen Anbieterinnen, statt eigene IT-Systeme aufzubauen?
Cloud-Lösungen bieten viele Vorteile, insbesondere in Bezug auf Skalierbarkeit und Kostenmanagement. Unternehmen können sehr flexibel entscheiden, welche Applikationen und Daten on-premise, also kontrolliert von der eigenen ICT-Abteilung, und was in der Public Cloud verarbeitet werden soll. Die Entscheide müssen Unternehmen abhängig von gewünschter Leistung, Latenz und Sicherheit treffen. Hybride Cloud-Systeme verbinden die Vorteile beider Welten und sind deshalb eine häufige Wahl. Das ist auch mit ein Grund, warum der individuell programmierbare Datenverkehr in physisch verteilten Netzwerken eine immer grössere Rolle in unseren Forschungsprojekten spielt.

Solche Entscheidungen sind nicht mehr reine Informatik. Wird der klassische Informatikberuf durch die steigende Bedeutung der Cloud zur Management-Aufgabe? Wie hat sich die Ausbildung verändert?
Die Informatik wird generell immer komplexer. Unternehmen brauchen technisch ausgebildete Fachkräfte, die über Expertise in Cyber Security, Netzwerken und KI verfügen, aber auch die User-Seite und das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens berücksichtigen können. Reines Programmieren reicht schon länger nicht mehr aus. Unsere Ausbildung fokussiert weiterhin auf Software Engineering, ergänzt durch Vertiefungen in den genannten Bereichen. Diese starke Basis braucht es in jedem Fall, alle anderen Fähigkeiten muss jede Person für sich im Laufe einer Berufslaufbahn sammeln und kann je nach Karriereziel mit gezielten Weiterbildungen oder einem fokussierten Masterstudium das nötige Know-how aufbauen. 

Reines Programmieren reicht schon länger nicht mehr aus.

Laurent Metzger, Departementsleiter Informatik

Wie viel Wert legt das Departement auf ethische und gesellschaftliche Auswirkungen, insbesondere was KI und Cloud betrifft?
Wir vermitteln ethische und gesellschaftliche Grundsätze in unseren Ausbildungsmodulen. Viele unserer Professorinnen und Professoren haben starke Werte, was verantwortungsvolle Softwareentwicklung und Datensicherheit betrifft. Generell sehe ich, dass ethisch-gesellschaftliche Themen an Bedeutung gewinnen, entsprechende Module werden an der OST departementsübergreifend in vielen Studiengängen angeboten, nicht nur in der Informatik.

Wenn sich die Informatik aktuell so schnell weiterentwickelt, wie wichtig ist Weiterbildung für Fachkräfte, die bereits seit Jahren in der Informatik arbeiten?
Weiterbildung ist essenziell. Das war schon immer so, nur das Tempo hat sich erhöht. Das Departement Informatik arbeitet in der Weiterbildung unternehmerisch. Das heisst, wir bieten neue Kurse an, wenn neue Technologien, Trends oder Bedürfnisse den Markt verändern. Cloud, KI, ChatGPT und Cyber Security sind Beispiele für Bereiche, in denen wir eine erhöhte Nachfrage verzeichnen und deshalb neue Weiterbildungsmöglichkeiten entwickeln. Wir beobachten auch mittelfristig relevante Entwicklungen wie Quantencomputing und werden Angebote entwickeln, sobald diese Technologien durchstarten.

Zur Person

Laurent Metzger ist seit Februar 2018 Professor für Internet-Infrastruktur an der OST und unterrichtete im Bachelorstudiengang Informatik sowie im Master of Science in Engineering (MSE) Data Science und Computer Science. Zudem übte er die Funktion als Profilleiter für das Profil Computer Science im Studiengang MSE aus. Neben seiner Lehrtätigkeit leitete er diverse Industrie- und Praxisprojekte im Bereich Network Engineering und Cloud-Native Applications. Seit März 2021 war Metzger Leiter des INS Institut für Netzwerke und Sicherheit. Seit Dezember 2022 führte er das Departement zuerst ad interim und wurde im Oktober 2023 von der Wahlkommission der OST als Departementsleiter bestätigt.

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