Ausgabe 02 / 2024

Seewasserheizung für 500 Gebäude

Willi Meissner

In der Seegemeinde Stäfa soll ein Energieverbund rund 500 Liegenschaften mit Wärme und Kälte versorgen. Die Nutzung des Zürichsees als Energiequelle war Gegenstand einer Studie der OST – Ostschweizer Fachhochschule, die als Entscheidungsgrundlage für die Gemeinde diente. Die bisher einzigartig umfangreiche Untersuchung bietet auch wertvolle Erkenntnisse für ähnliche Projekte in anderen Gemeinden rund um den See.

Die Forschenden des SPF Institut für Solartechnik der OST haben untersucht, wie gross das Potenzial der lokalen erneuerbaren Energiequelle für Klimaanlagen und Heizungen ist. Mit ihrem neuen Ansatz haben sie die Analyse gebäudescharf, also für jedes einzelne Gebäude, durchgeführt und das Potenzial erneuerbarer Energien für Heizung und Kühlung präzise abgeschätzt. Die Gemeinde Stäfa nutzt diese energetische Potenzialanalyse als Grundlage für ihre Energierichtplanung. Heute werden rund 75 Prozent der Gebäude in Stäfa mit Heizöl und Erdgas beheizt. Die Studie hat gezeigt, dass ein vollständiger Ersatz dieser fossilen Energieträger mit lokaler Energie aus Seewasser und Erdwärme möglich ist. Zusammen mit Energie 360°  will die Gemeinde den Bau eines Energieverbundes vorantreiben und ab 2026 insgesamt 500 Liegenschaften in der Gemeinde mit Wärme und Kälte versorgen. 

Grafik eines Mannes der auf einem "Heiz-Floos" liegt
Umfangreiche Datenquellen als Grundlage

Die Studie der OST, an der auch Lukas Füglister von der enex engineering gmbh mitbeteiligt war, nutzte verschiedene Datenquellen, um Wahrscheinlichkeitsmodelle für den Energiebedarf und dessen Deckung mit erneuerbaren Energien zu erstellen. Daraus wurden Empfehlungen abgeleitet, die zeigen, dass thermische Systeme die CO2-Emissionen im Gebäudebereich erheblich senken können. Das Wasser des Zürichsees dient im anstehenden Projekt als Hauptenergiequelle für Stäfa. In der Studie haben sich aber auch Erdwärmesonden als wichtige Energiequellen für die Gemeinde Stäfa herausgestellt. «Im Laufe der Untersuchung sind wir zum Schluss gekommen, dass Erdwärmesonden besonders in weniger dicht besiedelten Gebieten sinnvoll sind, während im Zentrum und in Industriegebieten das Seewasser die bessere Variante ist», so Projektleiterin Evelyn Bamberger vom SPF.
Der Hintergrund: Seewasserfassungen sind aufwändig, können aber sehr viel Energie liefern. Daher lohnen sich Seewasserheizungen für Industriegebiete oder wenn ein ganzes Fernwärmenetz damit betrieben werden kann. Die Seewassertemperatur bleibt erfahrungsgemäss konstant bei rund vier Grad Celsius, was für eine stabile Energieversorgung in Kombination mit aktuellen Wärme- und Kältesystemen sorgt. «Auf Ebene der Gemeinde kann durch den  Aufbau eines thermischen Netzes mit Seewassernutzung für das Zentrum und einer Versorgung der Aussenquartiere mit Erdwärme eine Wärmeversorgung mit lokalen erneuerbaren Energien erreicht werden», sagt Florian Ruesch, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Jetzt oder nie

Die Zeit für die Gemeinden, um solche thermischen Netze umzusetzen, ist jetzt. «Wenn wie in den letzten Jahren immer mehr private Liegenschaftsbesitzende ihre Gebäude selbst auf eine erneuerbare Heizung umstellen, reduziert sich schrittweise das Potenzial für den wirtschaftlichen Betrieb thermischer Netze», so Ruesch. «Wer gerade in eine neue Wärmepumpe investiert hat, hat wenig Interesse, sich an ein Fernwärmenetz anzuschliessen.» Eine hohe Anschlussdichte in versorgten Quartieren ist essenziell, um thermische Netze seitens der Energieunternehmen kosteneffizient und zu guten Konditionen für die Kundschaft betreiben zu können.  Gerade Gebiete mit einem hohen Wärmebedarf können aber nur schlecht mit individuellen erneuerbaren Lösungen versorgt werden, da sich eng zusammenliegende Wärmepumpenanlagen oft negativ beeinflussen. 

Bisher einzigartige Studie

Der Nutzen der energetischen Potenzialanalyse ist mit dem aktuellen Projekt noch lange nicht erschöpft. Die Studie ermöglicht der Gemeinde laut Bamberger, gezielte Entscheidungen zu treffen sowie den Energierichtplan kontinuierlich weiter auf die Nutzung erneuerbarer Energien auszurichten und so die Klimaziele der Gemeinde zu unterstützen. Der Schlussbericht des Projekts ist online auf spf.ch/staefa.

Kontakt

Evelyn Bamberger
SPF Institut für Solartechnik
+41 58 257 48 29
evelyn.bamberger@ost.ch 

Transformation durch Energie 360° 

Ab 2026 sollen rund 500 Liegenschaften in Stäfa mit erneuerbarer Energie aus dem Zürichsee versorgt werden. Energie 360° hat den Zuschlag für dieses Grossprojekt erhalten und im Sommer 2024 mit den Bauarbeiten begonnen. Der Bau der Seewasserfassung und der unterirdischen Energiezentrale startet im Sommer 2024, die ersten Wärmelieferungen sollen ab 2026 erfolgen. Bis 2030 soll das gesamte Energieverbundgebiet etappenweise erschlossen werden. Energie 360° investiert rund 80 Millionen Franken in den Energieverbund Stäfa. Weitere Infos auf energie360.ch und staefa.ch.

Nachhaltige Energieversorgung am See

Durch den Ersatz zahlreicher Gas- und Ölheizungen soll Stäfa im Endausbau des Energieverbunds rund 7000 Tonnen CO2 einsparen können, was etwa 2,6 Millionen Litern fossilen Heizöls entspricht. Diese Massnahme ist ein bedeutender Schritt zur Transformation der Gemeinde hin zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Energieversorgung. Die energetische Potenzialanalyse der OST zeigt, dass eine Kombination aus netzgeführter Seewasser- und individueller Erdwärmenutzung das Potenzial bietet, ganze Gemeinden mit lokalen erneuerbaren Energiequellen zu heizen. Am Beispiel der Gemeinde Stäfa zeigt sich, dass solche Studien als Entscheidungsgrundlage dienen, um Gebiete zu identifizieren und konkrete  Massnahmen einzuleiten, welche den CO2-Ausstoss reduzieren und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern. «Wir hoffen, dass das Projekt die Aufmerksamkeit weiterer Seegemeinden erhält, denn die Entscheide zur Erstellung von effizienten Seewassernetzen müssen rasch gefällt werden, bevor zu viele Heizungen individuell ersetzt werden», so Florian Ruesch vom SPF Institut für Solartechnik der OST.

Weitere Artikel zum Thema