Archiv 01 / 2024

Die Lösung liegt tief verborgen

Daniel Last

Die Anforderungen an die Energiegewinnung steigen enorm und werden in den nächsten Jahren weiter massiv zunehmen. Ein riesiges Potenzial schlummert dabei tief in der Erde: Geothermie könnte die Schweiz nah an die (Energie-)Autonomie führen und wäre ein immens wichtiger Baustein für die Energiestrategie 2050. Die OST ist an einem hochinteressanten Innosuisse-Projekt massgeblich beteiligt, das sich die effiziente Nutzung der Geothermie zum Ziel gesetzt hat.

Aus den aktuellen Zahlen (Stand Feb. 2023) des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA geht hervor, dass die Schweiz in den letzten fünf Jahren durchschnittlich rund 810 000 Terajoule Energie pro Jahr verbrauchte. Und dafür zu rund 70 Prozent abhängig vom Ausland ist. Dies gilt vornehmlich für die Energie zur Wärmegewinnung, die Stromnachfrage kann die Schweiz momentan fast gänzlich abdecken. Noch, wohlgemerkt, denn der Bedarf an Strom wird in den kommenden Jahren massiv zunehmen.

AEGIS-CH heisst das Projekt, das von Innosuisse 2022 mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, die Resilienz des Schweizer Energiesystems durch die Entwicklung und Integration von Advanced Geothermal Systems (AGS) zu verbessern. AGS, die aus Bohrungen mit geschlossenem Kreislauf ohne hydraulische Stimulation bestehen, haben das Potenzial, einerseits dekarbonisierte, häusliche und dezentrale Wärme und andererseits elektrische Energie bereitzustellen. AEGIS-CH soll bis 2026 laufen und dann hoffentlich ein entscheidendes Puzzleteil einer energieautonomen Schweiz liefern.

Die Vorteile der Geothermie liegen auf der Hand: Bei Geothermie handelt es sich um eine erneuerbare Energiequelle, da die Wärme aus dem Inneren der Erde praktisch unerschöpflich ist. Zudem produziert die Geothermie im Vergleich zu fossilen Brennstoffen geringe Mengen an Treibhausgasen und ermöglicht eine kontinuierliche Stromerzeugung, unabhängig von Wetterbedingungen – im Gegensatz zu solaren oder windbasierten Energiesystemen.

Sehr tiefe Bohrungen

Die Funktionsweise erklärt Carlo Rabaiotti vom IBU Institut für Bau und Umwelt der OST auf einfache Weise: «Plakativ gesagt wird ‘einfach’ ein Loch in die Erde gebohrt, kaltes Wasser wird durch ein Rohr hineingepumpt, das die Wärme in der Tiefe der Erde aufnimmt, und das heisse Wasser wird wieder nach oben gepumpt.»

Allerdings bedeutet das, was sich so einfach anhört, eben auch Bohrungen bis in etwa 8000 Meter Tiefe, wo Temperaturen von rund um 300 Grad Celsius herrschen. Dort verläuft das Rohr parallel zur Erdoberfläche, um dann das heisse Wasser nach oben zu befördern. Hierbei handelt es sich um einen geschlossenen Kreislauf, der in der Tat aus einem einzigen Rohr besteht.

Die OST ist im Rahmen des Projekts AEGIS engagiert und bringt ihre Expertise in den zwei aktiven Kompetenzbereichen Geotechnik sowie Wasserbau ein. Im Projekt übernimmt Rabaiotti mit seinem Team die Verantwortung für die Bohrlochstabilität. Gleichzeitig widmet sich das Team von Davood Farshi der Untersuchung des Transports von Bruchsteinen, die während des Bohrvorgangs entstehen.

Was bedeutet dies genau? «Unsere Aufgabe ist es, die Bohrverfahren von Bohrlöchern weiterzuentwickeln. Es muss kostengünstiger werden. Bislang war in der Regel ein ‘casing’ nötig – sprich: Die Bohrlöcher mussten mit Stahlrohren ausgekleidet werden – das trieb die Kosten in die Höhe. Ohne ein ‘casing’ wäre dies deutlich günstiger. Hier führen wir statische Berechnungen durch und eruieren die Möglichkeiten», erklärt Rabaiotti.

Das Bohrverfahren muss kostengünstiger werden. Prof. Dr. Carlo Rabaiotti

Unsere Expertise ist mittlerweile auch über die Grenzen hinaus bekannt.

Betriebskonzept immens wichtig

Farshi erklärt die Rolle seines Teams so: «Im Vergleich zu konventionellen Bohrmethoden führt das neue Bohrsystem zu umfangreichen Steinbrüchen anstelle von Feinsedimenten. Diese müssen während des Fortschritts des Bohrkopfs in den Felsen mithilfe von Wasserdruck aus der Tiefe an die Erdoberfläche gepumpt werden. Die optimale Einstellung des Wasserdrucks und der erforderliche Wasserabfluss stellen entscheidende Fragen dar, die durch Untersuchungen ermittelt werden müssen. Die Lösungen für diese Herausforderungen müssen im Einklang mit der Wirtschaftlichkeit des Pumpensystems stehen. Daher setzen wir eine hybride Vorgehensweise ein, die die Vorteile komplexer numerischer Methoden und physischer Modelle geschickt kombiniert.»

In Bezug auf die Wirtschaftlichkeit betonen Rabaiotti und Farshi zudem, wie wichtig ein entsprechendes Betriebskonzept ist, wenn man denn in Zukunft einen wirtschaftlichen Betrieb der Geothermie angehen kann: «Wir gehen davon aus, dass ein Bohrloch etwa 100 Jahre genutzt werden kann. Dann wäre der Boden zunächst zu sehr ausgekühlt, um ihn weiterhin zu nutzen. Wahrscheinlich wäre es rentabler, ein Loch 20 Jahre zu nutzen und dann entsprechend zu warten, bis die Temperatur vom Erdkern her wieder regeneriert wurde. Dies müsste man entsprechend abwägen, überprüfen und dann ein schlüssiges Betriebskonzept entwickeln.»

Dabei ist AEGIS schon mitten in der Umsetzung. Ein Prototyp der Bohranlage wurde in Uetikon auf einem ehemaligen Industrieareal gebaut und die Funktionstüchtigkeit bereits nachgewiesen. Gänzlich neu sind die Geothermie und die Umsetzung in der Praxis nicht, gibt es doch bereits seit Jahren laufende Projekte in den USA, in Kanada oder aber auch im italienischen Larderello, wo bereits 1905 das erste Erdwärmekraftwerk gebaut wurde. So verfügt Italien bei der Erzeugung von Strom aus Erdwärme über eine jahrelange Expertise und besass lange Zeit einen gewissen Wissensvorsprung.

Modernste Bohrtechnik

Bei der Bohrtechnik wird bei AEGIS indes auf modernste Technologie zurückgegriffen, das sogenannte «Plasma Pulse Geo Drilling» (PPGD). Hierbei wird nicht, wie früher üblich, auf einen diamantbesetzten Bohrkopf gesetzt, sondern auf dem Bohrkopf sind Elektroden angebracht, die Blitze erzeugen. Der Gesteinsabtrag erfolgt somit elektrisch-thermisch über Hochspannungspulse. Die Gesteinszerstörung geschieht somit praktisch berührungslos, was einen unschätzbaren Vorteil mit sich bringt: Der Verschleiss des Bohrwerkzeuges wird drastisch verringert und die Lebensdauer aller Bohrkomponenten massiv erhöht.

Dass die OST als Partnerin überhaupt mit an Bord ist, erfüllt Rabaiotti und Farshi zu Recht mit Stolz. Denn immerhin wurde das IBU gezielt daraufhin angesprochen, ob es sich eine Mitarbeit bei diesem Flagship-Projekt vorstellen könne. «In der Tat ist unsere Expertise mittlerweile auch über die Grenzen hinaus bekannt, das ehrt uns natürlich», so Rabaiotti und Farshi.

Wobei sie bei allen wichtigen Partnern des Projekts eine Person gezielt herausheben möchten. «Ein ganz besonderer Dank gilt Hans Schiegg, meinem Vorgänger hier, an der damaligen HSR. Er ist Inhaber der SwissGeoPower AG und massgeblich für die Entwicklung der ‘Plasma-Pulse-Geo-Drilling-Technologie’ verantwortlich. Mit ihm standen wir über all die Jahre immer in einem engen Austausch und verdanken ihm sehr viel», erklärt Rabaiotti.

Nun gilt es, mit Nachdruck weiter an der Wirtschaftlichkeit des Projekts zu arbeiten, denn in einem Punkt sind sich alle Beteiligten einig: Die Lösung der Klima- und Energieproblematik schlummert in praktisch unerschöpflichen Ressourcen in etwa 8000 Meter Tiefe im Boden. Nun gilt es, sie dort herauszuholen – mit Hilfe der OST. 

Kontakt zu den Projektverantwortlichen:

Prof. Dr. Carlo Rabaiotti
IBU Institut für Bau und Umwelt
+41 58 257 49 75
carlo.rabaiotti@ost.ch

Prof. Davood Farshi
IBU Institut für Bau und Umwelt
+41 58 257 48 07
davood.farshi@ost.ch

Weitere Artikel zum Thema